Einen Lorbeer habe er verdient, sagte der Schauspieler Hansdieter Neumann. Ein Denker und Macher sei er, war Theaterkritiker Hartmut Krug überzeugt und der Regisseur Frank Lienert-Mondanelli sah ihn als einen der letzten großen Prinzipale. So würdigten Wegbegleiter Heinz Klevenow, als er sich 2004 als Intendant der Neuen Bühne Senftenberg zurückzog, das Zepter an Sewan Latchinian übergab.
Geblieben ist der Schauspieler. Seit 45 Jahren steht er jetzt auf der Bühne und noch immer ist er ein Zweifler. Einer, der es sich und anderen nicht leicht macht, sich manchmal auch selbst im Wege steht, ein Philosoph und Denker unter den Vertretern seiner Zunft. Aber vielleicht stützen gerade diese ewigen Selbstzweifel wie ein Korsett Klevenows Ausdruckskraft. Das gärt und gärt und wird schließlich lagerfähiger Wein, Bleibendes unter all dem leicht Vergänglichen. Jedenfalls ab und zu.
Eigentlich war es immer der Zweifel, der ihn getrieben hat, das Gefühl, nicht zu genügen. Schon als er, ein gutaussehender junger Mann, ins erste Engagement nach Weimar ging. Er wollte keine netten Liebhaber spielen, aber alles andere war Illusion – bei der Konkurrenz. Das Nationaltheater Weimar teilte sich damals die ostdeutsche Schauspielerprominenz mit dem Deutschen Theater Berlin und Berliner Ensemble.
Neues entdecken "Ich hatte das Gefühl, dass Theater mehr sein müsste als zu spielen, und dass ich als Schauspieler vielleicht nicht weit kommen würde", sagt Klevenow. Die erste Ahnung bestätigte sich, die andere nicht. Das aber vielleicht nur, weil die erste stimmte. Vielleicht. Klevenow sagt: "Ich spiele heute anders, weil ich mit dem Wissen und dem Anspruch des Regisseurs auf meine Arbeit schaue." In einer Rolle Neues zu entdecken, das reizt ihn. Zu ergründen, was dieser andere Mensch, dem er Gestalt und Stimme leiht, fühlt und denkt, weshalb er so und nicht anders handelt, interessiert den Schauspieler. Und dann die Herausforderung, das Gespür dafür zu entwickeln, mit der Körperhaltung, mit Gesten, Mimik, Stimme die inneren Widersprüche der Figur sichtbar zu machen. Sich hineinzudenken hat vor allem etwas mit Denken zu tun, Heinz Klevenow betont das immer wieder. "Ohne zu denken kann man nicht erkennen.
"Dass mancher junge Kollege so gar keine Lust darauf hat, stört ihn ebenso wie die mitunter mangelhafte Ausbildung. Das Handwerk ist die Basis, auf der Kunst entstehen kann, was auch für Regisseure gilt. "Ich wollte inszenieren, aber ich hatte das Gefühl, dass ich viel zu wenig weiß", erinnert sich Heinz Klevenow. Das war in Klevenows erster Senftenberger Phase. Bevor er Intendant wurde, war er hier von 1969 bis 1974 als Schauspieler engagiert unter der Intendanz von Ulf Reiher. Als der nach Halle wechselte, ging Klevenow mit und begann in Leipzig ein Fernstudium der Theaterwissenschaften. "Das war eine Zeit, in der ich aber auch alles anzweifelte, hinterfragte, untersuchte."
Warum auch immer, Klevenow fühlte sich am Landestheater Halle nicht wohl, und als das Angebot kam, künstlerischer Leiter am Puppentheater in der Saalestadt zu werden, wunderte er sich zwar, aber sagte zu. Zweieinhalb Jahre, die ihm "unheimlich viel Spaß gemacht haben, mit wunderbaren Mitarbeitern".
Schon damals war für ihn klar – jedwedes Theater, auch Puppentheater ist immer für Kinder und Erwachsene. Deshalb hatte er später auch kein Verständnis für die Diskussion, als das Theater der Bergarbeiter in Senftenberg nach der Wende, um es zu erhalten, strukturell in ein Kinder- und Jugendtheater umgewandelt wurde. Der Spielplan wandte sich immer auch an die Erwachsenen.
Seine Diplomarbeit schrieb Klevenow über die Inszenierung eines russischen Stückes am Theater in Schwedt und an der Puppenbühne. "Ein interessanter Vergleich", fand er. Der Meinung war die Diplomkommission offenbar auch, denn Heinz schloss das Studium mit besseren Noten ab als seine große Schwester, die Chefdramaturgin in Görlitz, Karl-Marx-Stadt und Potsdam war. Mit einer gewissen Genugtuung konstatiert das Heinz Klevenow auch heute noch.
Ansonsten lenkten Glück und Zufall, wie Klevenow meint, seine Lebenswege. Beispielsweise, als er Ekkehard Prophet begegnete. Der bot ihm an, Oberspielleiter am Theater in Rudolstadt zu werden. "Zuerst war ich ein bisschen erschrocken: Oberspielleiter. Der inszeniert ja nicht nur, sondern ist auch für Schauspieler und Spielplan verantwortlich." Ein Jahr später war Klevenow schon stellvertretender Intendant. Als Prophet 1986 das Erbe von Hanns Anselm Perten am Volkstheater Rostock antrat, ging Klevenow als Schauspieldirektor mit. Für Prophet wie für Klevenow keine gute Entscheidung. Die von Perten geschaffenen Hierarchien aufzubrechen, gelang beiden nicht. Heinz Klevenow sann auf Flucht. Und er wollte sich selbst als Intendant versuchen. Also wandte er sich ans Kulturministerium. "Ich gehörte dort sowieso zur ,Kaderreserve’, früher oder später wäre mir eine Intendanz angeboten worden. Ich kümmerte mich um früher.
"Im Angebot waren Eisenach, Nordhausen, Senftenberg oder Rudolstadt. Zwei davon kannte er schon. "Aber Senftenberg hat mich besonders gereizt. Dort war der Umbau des Hauses im Gange. Ein richtiger Neuanfang, selbst gestalten zu können, eine solche Herausforderung hatte ich gesucht."
Am 5. Dezember 1989 wurde Heinz Klevenow als Intendant eingeführt und war zunächst vor allem Bauleiter. Das hat ihn nicht geschreckt. Bauzeichnungen konnte er lesen und von Technik hatte er als gelernter Landmaschinen- und Traktorenschlosser ohnehin Ahnung. Ein Prinzipal mit Hang zum Praktischen.
Er hat das Theater umgekrempelt: Aus dem Theater der Bergarbeiter wurde die Neue Bühne und ein Kinder- und Jugendtheater. "Ein Stadttheater mit drei Sparten hätten wir nicht finanziert bekommen", ist er noch heute überzeugt. Dennoch hadert er mit Entscheidungen, die er damals treffen musste: Das Musiktheater entlassen, das Ensemble reduzieren. Aber, da ist sie immer noch, die Neue Bühne – und wie.
Für alle, die dort Entspannung, Anregung, Aufregung, Erheiterung oder sonst was finden, ist sie nicht Kinder- und Jugendtheater, sondern wichtiger Ort der Kommunikation in einer gebeutelten Region. Das gibt Klevenow, der am Senftenberger See auch noch ein Amphitheater initiiert hat, letztlich Recht. Und immerhin gab es ja mit gesanglich sehr begabten Schauspielern auch noch Musicals wie die legendäre "Rocky Horror Show".
2002, nach dreizehn Jahren, hatte Klevenow die Entscheidung getroffen, sich langsam von der Intendanz zurückzuziehen. Nicht zuletzt dem Gefühl geschuldet, aus dem Laufrad abspringen zu müssen. Er fühlte sich ausgebrannt.
Wieder Schauspieler sein Schauspieler wollte er wieder sein. Sich mit einer Rolle auseinandersetzen und dabei höchstens an die eigenen Grenzen stoßen, sich darüber ärgern und dadurch anstacheln. Das schafft ihm Befriedigung. Wie beim Nathan. "Nathan, der immer nur weise ist. Einer von den Menschen, die für jeden Topf einen Deckel parat haben, das war mir zu wenig.
Der ist doch in furchtbaren Nöten, ist verzweifelt." Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rolle war ihm so wichtig, dass Klevenow zur ersten Probe bereits den gesamten Text drauf hatte. Eher ungewöhnlich. Er wollte sich mit dem Regisseur Sewan Latchinian auf die Haltung der Figur konzentrieren. Es hat sich gelohnt. Hartmut Krug schrieb in seiner Kritik: "Heinz Klevenows Nathan aber ist vor allem eins: ein Mensch. So real wie realistisch, so vernünftig wie absichtsvoll. Mit Hoffnungen und Ängsten, mit Humor und mit der Lust am Leben und Reden. Dieser Nathan verhält sich vernünftig, ohne je zu vergessen, dass er beständig um sein Leben kämpfen und reden muss."
Auch sein Oberon in Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" ist ein anderer als in vielen anderen Inszenierungen.
"Anfangs fand ich die Rolle langweilig, aber die Lesart von Sewan Latchinian, dass der Streit zwischen Oberon und Titania die Welt in eine Naturkatastrophe stürzt und verwüstet, lässt Spannung entstehen, gibt den Götterwesen Bodenhaftung, macht sie als Figuren interessant."
Sybille Böversen, Titania, ist auch im richtigen Leben Heinz Klevenows Frau. 1972 haben sie sich in Senftenberg kennengelernt und 1973 geheiratet. "Für meine Verhältnisse war das unheimlich schnell." Wie gesagt, der junge Mann war nur auf der Bühne ungern Liebhaber. "Einen besseren Menschen hätte ich nicht finden können", schwärmt er.
Klevenow ist 68, zwei Jahre will er noch spielen. Und was dann? Schön wäre, öfter mal in Urlaub zu fahren – nach Norwegen angeln, oder an die Algarve. Aber wer weiß? Da könnte ja auch noch die eine oder andere spannende Rollen lauern. Der Lear? Oder Estragon und Wladimir, die noch immer auf Godot warten. Auf eine dieser Rollen wartet Heinz Klevenow noch.
Projekt: Kinder- und Jugendtheater Cottbus